22. bis 29. März , Scotia Sea, Überfahrt nach Südgeorgien
Scotia Sea – Auf den Spuren von Sir Ernest Shackleton
Auf jeder Antarktis-Reise lernt man etwas über die Expeditionen des Sir Ernest Shackleton. Die Bark Europa segelt sogar komplett auf den Spuren seiner dritten und verhängnisvollsten Fahrt.
Am ersten Tag in Richtung Südgeorgien fahren wir an Elephant Island vorbei. Hier warteten die meisten von Shackleton’s Männern monatelang zusammengekauert unter zwei kleinen Ruderbooten auf Rettung, nachdem ihnen die Flucht aus dem Weddell-Meer in ihren drei kleinen, offenen Booten gelungen war.
Sir Shackleton segelte damals mit einem kleinen Teil der Mannschaft im dritten der Boote weiter in Richtung Südgeorgien um Rettung zu holen. Mit dem viel zu kleinen Boot war das ein Himmelfahrtskommando in der tobenden See.
Seetage auf der Bark – Im Wachdienst Südgeorgien entgegen
Die Bark Europa nimmt zwar den gleichen Weg, aber wir können die Bequemlichkeiten unseres Schiffes genießen.
Und trotzdem: Wellen, Kälte und das rotierende Wachsystem saugen alle Energie in einem dumpfen Rhythmus aus Schlaf, Halbschlaf und Segeldienst. Die Seekrankheit holt sich wieder jeden Tag neue und andere Opfer. Feuchtigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit zehren an den Reserven.
Es sind Tage der Müdigkeit. Tage wie nach einer schwer durchzechten Nacht. Der Körper hat auf Energieerhaltung umgestellt und jeder Handgriff kostet Überwindung. Wer Segeln nur mit sonnenstrahlender Romantik verband, wird in dieser langen Woche eines Besseren belehrt.
Das Wetter ändert in dieser Woche gern im Minutentakt. Kaum sind bei wenig Wind sämtliche Segel gesetzt, brechen plötzlich Hagel und Sturm hervor. In schwankenden Masten verpackt die Crew nasse, gefrorene Segel, die vor wenigen Minuten erst empor gezogen wurden.
Wellen rollen unterm Schiff hindurch, senken und heben es, schlagen mit voller Wucht von der Seite in den Rumpf. Von einem Moment zum anderen legt sich die Bark von links nach rechts, gurgelnd rollen Wellen über Reling und Deck. Verschneit und vereist stampft und rollt und steigt und fällt das Schiff durch die Gischt.
In den Kojen spürt man hin und wieder sogar, dass die Kraft von Wind und Wasser den Bootskörper aus Stahl verwindet.
Wir erleben klare Sternennächte, in denen der Vollmond lange, flache Wellen in sein silbernes Licht eintaucht. Aber wir steuern auch häufig durch raue See.
Der erste Sturz mit Rippenbrüchen macht unmissverständlich klar, wie weit weg man sich von jedem Krankenhaus befindet. Mehr als 20 Segeltage sind wir vom nächsten Röntgengerät entfernt. Dem Kapitän bleibt nur übrig abzuklären, ob Schiffe in der Nähe eine schnellere Evakuierung möglich machen.
Obwohl wir nach Norden kommen, werden die Tage und Nächte anfangs kälter. Südliche Winde tragen uns die Kälte der Antarktis hinterher. Die Fallwinde des Kontinents ziehen weit über die See, um uns selbst hier noch eisig unserem Ziel im Nordosten entgegen zu blasen. Im Salon der Bark wachsen nachts an den Fenstern jetzt sogar kleine Zapfen aus Eis herab.
Mit jedem Tag wächst die Bewunderung für die feste Crew der Bark. Täglich mehr als 12 Stunden versehen sie bei Wind und Wetter ihren Dienst. Segel hissen, Eiswache im höchsten Mast, Schiffsreinigung, Essen kochen und und und. Häufig nur zwei oder vier, niemals mehr als sechs Stunden Schlaf am Stück.
Und trotzdem bietet ein Großteil der Mannschaft immer wieder dasselbe Bild. Müde aber zufrieden, immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Eine Tasse Kaffee und vielleicht eine Zigarette in der Hand sind ihr pünktlicher Start in eine harte Schicht.
Keine Kälte, kein Hagel, kein Sturm, kein Wellengang hält sie von ihren Arbeiten ab. Sie sind die bescheidenen Helden dieser Fahrt. Wie viel Demut und Zufriedenheit viele Menschen von ihnen lernen könnten.