03.- 14. April, Passage nach Tristan da Cunha, Leben an Bord
Zwischen Südgeorgien und Kapstadt liegt fast nur Meer. In der Mitte jedoch gibt es noch eine kleine Inselgruppe. 1300 Meilen Luftlinie trennen uns von diesem nächsten erhofften Stopp. Abhängig von Wind und Wetter bedeutet das vielleicht 10 Tage, manchmal auch zwei Wochen Segeln auf offener See.
Entsprechend kreist fast alles in den nächsten Tagen um das Leben an Bord.
ein ineffizienter Wachplan – das größte Ärgernis an Bord
Intensiv sind schon seit mehreren Tagen die Diskussionen, wie Effizienz das Wachsystem bereichern könnte. Die Erinnerungen an Müdigkeit und Gereiztheit der letzten Passage liegen schwer im Magen. Zu jedem Zeitpunkt verzichteten bisher 11 Gäste auf ihren Schlaf, um die meiste Zeit im Deckhaus zu warten und sich bei den wenigen Segelmanövern gegenseitig auf den Füßen zu stehen. 33 Personen in drei Schichten zusätzlich zur festen Crew sind selbst für einen traditionellen Großsegler wesentlich mehr als genug.
Dem Kapitän sind die Wünsche nach mehr Freizeit seiner Gäste sichtlich unverständlich. Er hat diese Schichtarbeit zu seinem Beruf gemacht. Segeln und Zusammensein an Bord sind sein Leben. Unwohl ist ihm der Gedanke, dass jeder sich mit Büchern oder Computer in seine Kabine verzieht.
Nur mühsam einigt man sich auf 8 Passagiere pro Schicht für Steuerrad, Ausguck und eventuelle Arbeiten. Der Rest wird jeweils „Urlaub“ haben. Doch ausgeschlafene und entspannte Gesichter zeigen bald, dass diese Entscheidung richtig war.
Adé Antarktis – unter vollen Segeln der Sonne entgegen
Nur wenig nördlich von Südgeorgien verlassen wir die antarktischen Gewässer. Die antarktische Konvergenz trennt hier wieder kalt von warm und nährstoffreich von nährstoffarm. Das Wasser wird sprunghaft einige Grad wärmer, ein großer Teil der Wale, Delfine und Seevögel bleiben im Süden zurück.
Hin und wieder lässt sich auch in der Luft erahnen, dass wir der Sonne näher kommen. In den wenigen warmen Stunden beginnen sofort T-Shirts und eine Hängematte das Deck zu prägen. Die Wärme und die Gewöhnung an die See lassen auch die letzten Opfer der Seekrankheit gesunden und endlich das Gefühl des Segelns genießen.
Viele haben diese Reise gebucht, um sich endlich einmal ungestört Zeit zu nehmen. Zeit für Bücher oder um Entscheidungen zu überdenken. Jetzt wo es langsam wärmer und angenehmer wird, bietet diese lange Überfahrt vor Kapstadt erstmals diese Möglichkeiten.
Je weiter nördlich wir kommen, desto ruhiger und gleichmäßiger wehen auch die Winde. Mehr und mehr Segel können gesetzt werden und lassen die Bark in ihrer vollen Pracht erscheinen.
Auf Hauptmast und Vormast wird je ein zusätzliches Stück Mast gesetzt, um Platz für eine sechste Segeletage zu schaffen. Über 30 Meter hoch wehen nun die höchsten Segel.
Auch die Rahen der Masten werden verlängert. Links und rechts der großen, rechteckigen Rahsegel können auf diese Weise sogenannte Leesegel über dem Wasser wehen. Dank dieser ist das Schiff nun 3 Segelflächen breit, um die ruhigen, gleichmäßigen, westlichen Winde nutzen zu können, die Kapstadt auf diesen Breitengraden normalerweise entgegen wehen.
Eine riesige, eindrucksvolle Fläche bietet sich dem Wind. Zahllose, flachsfarbene, bauchig gefüllte Tücher bieten Anblicke, wie man sie sonst nur von Gemälden und historischen Filmen kennt.
nach 30 Tagen an Bord wächst die Vorfreude auf zuhaus
Das Stampfen und Schlagen des Schiffes ist in diesen ruhigen Winden nun verschwunden, aber das Rollen in den langen Wellen zwingt auch weiterhin dazu, sich nachts in beiden Seiten der Koje zu verkeilen, um nicht ständig wie ein Sack auf der Ladefläche eines Autos umherzurutschen.
Etwas leichter – aber mitnichten angenehmer – ist der Schlaf, wenn sich das Schiff bei konstantem Wind auf eine Seite legt. Dann kann man in der einen oder der anderen Kante des Bettes dauerhafte Zuflucht suchen.
Nach 30 Tagen auf dem Schiff sehnt sich fast jeder seine ganz persönlichen Annehmlichkeiten des täglichen Lebens zurück. Die verbleibenden Tage werden gezählt, es wird von breiten Betten in Kapstadt geträumt, von Restaurants mit feinen Tischtüchern und frischen Salaten, von Internet und Telefon zum Normaltarif.
Die Ressourcen des Schiffes sind beschränkt. Kein Supermarkt auf dem Weg kann die Lager füllen und was in Ushuaia an Bord kam, muss haltbar sein und bis Kapstadt reichen. Nach einem Monat wird das immer deutlicher.
Fleisch und Fisch lassen sich gut konservieren und prägen neben Reis und Kartoffeln den Speiseplan. Frisches Obst und Gemüse waren nie reichlich. Aber inzwischen sind sie ausgesprochen selten geworden und gewinnen langsam Altersspuren. Auch wenn die Essen sich langsam anfangen zu ähneln, so ist es bewundernswert, was die zwei Köchinnen unter diesen Bedingungen jeden Tag zum Essen zaubern.
Die Snacks der Kaffeepausen sind streng rationiert und die meisten Süßigkeiten bereits aufgebraucht. Pünktlich 10 und 16 Uhr bilden sich also kleine Grüppchen an der Bar um – gemäß der Bordbeschränkung – artig einen Keks, ein Bonbon oder ein Stück Schokolade zu ergattern. Bevor im ersten unbeobachteten Moment schließlich jene wenigen Gäste zuschlagen, die mit hohler Hand die Schüssel leeren.
Schokolade ist inzwischen zum beliebten Dankeschön für kleine Gefälligkeiten geworden und erreicht bemerkenswerte Schwarzmarktpreise. Bei einer Wohltätigkeits-Versteigerung wechselt die Tafel Ritter Sport sogar für 30 Euro den Besitzer. Wer diese Reise macht, sollte seine eigenen kleinen Vorräte an Snacks und Süßem im Seesack haben.