20.März, Flucht aus dem Weddell-Meer
Unsere Route soll uns in den nächsten Tagen nach Südgeorgien führen. Doch der Wetterbericht sagt Schlechtes voraus. Ein Sturm im Norden entwickelt sich und wird die Fahrt unter Segeln etwas schwieriger und ungemütlich machen.
Weg vom Sturm – tief ins südliche Eis
Etwas früher als geplant und ohne den weiteren geplanten Stopp auf Paulet Island werden wir das Weddell-Meer verlassen. Nur zwei Möglichkeiten gibt es um das zu tun. Der Weg, den wir gekommen sind, brächte uns zurück nach Norden direkt gegen den Wind und würde eine Nutzung der Segel unmöglich machen. Stampfend durch die Wellen würden wir viel Zeit und Treibstoff verlieren.
Die Fahrt in den Osten ist eine zweite Möglichkeit mit einer anderen Schwierigkeit. Dort reihen sich sieben kleinere Inseln mit dem verheißungsvollen Namen „Danger Islands“ wie an einer Perlenschnur. Weit im Süden müssen wir diese Kette passieren, denn driftende Eisberge verfangen sich dort in der flachen See und bilden undurchdringliche Mauern aus schillerndem Eis.
Fast ganzjährig ist die Passage südlich der Inseln vom dichten Packeis der Weddell-See verstopft. Nur im Februar und März, am Ende des antarktischen Sommers, kann es Lücken geben. Aktuelle Satellitenbilder machen dem Kapitän Hoffnung für diesen Weg.
Je weiter östlich wir kommen, desto mehr zeigt die Weddell-See ihr spektakuläres Gesicht. Vorbei geht es an den verschneiten und vergletscherten Inseln. Mehr und mehr große Eisberge liegen fast unverrückbar fest im Wasser. Dichter und dichter treiben kleine Berge und Schollen aus weißem oder klarem, blauem oder grünem Eis um diese festen Riesen herum.
Alle Arten des antarktischen Eises treffen sich hier.
Majestätisch liegt das Tafeleis unbeweglich in den Wellen. Es sind die Überreste verfließender, zerbrochener Gletscher vom Kontinent. Diese flachen Monster, in der Fläche größer als Städte, steigen hier bis zu 40 Meter hoch aus dem Meer. Über 250 Meter tief im Wasser schwimmen diese Kolosse aus Süden vom Schelf bis hierher, wo sie sich mit ungeheurer Wucht im flacher werdenden Boden verkeilen und unmerklich langsam gewaltige Furchen in den Meeresboden ziehen. Kleinere Bruchstücke aller Größen und Formen driften um diese Giganten herum.
Zahlreiche flache Schollen aus See-Eis kommen hinzu. Wenn im März der Herbst Einzug hält, startet über dem gesamten Kontinent das größte Gefriergebläse der Welt. Die Luft kühlt sich über den Eismassen des Festlandes unglaublich ab. Dadurch schwerer geworden, stürzt sie ungebremst die flachen Gletscherhänge hinab um mit bis zu 200 km/h die See zu erreichen. Für Hunderte Kilometer fegt der frostige Sturm dann übers Wasser und lässt es zu flachem Eis gefrieren. In kürzester Zeit sind die Lücken des Sommers auf diese Weise wieder zugefroren.
Furcht vor dem ewigen Eis
Die Crew ist spürbar angespannt. Vorsichtig manövriert der Skipper das Schiff durch die Schollen wie durch ein überfülltes Hafenbecken.
Mehr als einmal geht ein Ruck durch den Körper der Bark, wenn sie sich einen Pfad in die Bänder aus treibenden Schollen schiebt. Einmal mehr wird einem bewusst, wie wenig Stahl in Wirklichkeit zwischen uns und der tödlichen Kälte des Wassers liegen.
Trotz eisigem Wind stehen die Matrosen hoch oben in den Masten und suchen den besten Weg durch dieses weiße Labyrinth. Noch am Nachmittag ist kein Ende in Sicht. Eine windige Nacht in diesem treibenden Eis kann dem Schiff schnell zum Verhängnis werden.
Die Entscheidung für den Rückzug fällt. Der goldenen Sonne und den auffrischenden Winden entgegen stampft das Boot nun doch wieder den ganzen Weg zurück in Richtung Bransfield Strait.
Für die meisten Passagiere ist es ein atemberaubend schöner, erlebnisreicher Tag. Einige finden es auch unheimlich und beängstigend. Aber für die Crew muss es eine Idee der kalten Hölle auf Erden sein.